Lilli Neumann über Ulla Kallert

forschen kann ich nur im Abstrakten"

Seit vielen Jahren beobachte ich das künstlerische Schaffen von Ulla Kallert. Ihre abstrakten Bilder haben mich gleich von Anfang an eingenommen. Zunächst die schwebenden "PunktüberPunktüberPunkt -Bilder",

neue Adaptionen verwandter Arbeiten aus dem abstrakten Impressionismus.

Dann die explodierenden Farbwelten, nie bloß ein Zitat kunsthistorischer Vorgänger, sondern eine eigene, von starken Emotionen getragene malerische Expression. Dann folgte eine Phase freundlicher Farbkompositionen auf Leinwand, sensible Aquarellmalerei auf großen Papierbögen.

Schließlich verlässt sie das gewohnte Format und zieht größere Maße vor, und nicht nur das: Linie und Strich bekommen eine freche Dynamik, verweigern sich dem Hübschen und schaffen dennoch Farb- und Strichfelder, die atmosphärische Räume zaubern.

Aufregend zu beobachten, wie ihre Bilder spontan gelingen, die Pinsel sich auf der Leinwand oder dem Papier mal tanzend, mal sensibel suchend bewegen: Linie auf Farben, Farbe auf Linien, Linie an Linie werden zu Feldern vibrierender Farbflächen.

Und im Prozess plötzlich das Innehalten miterleben. Befremden und Verwirrung über das Vorgefundene verführen hier und da zu mühsamen Ringen, doch sehr bald energisches Zurücktreten, Distanz schaffen oder ruhen lassen, und dann sich erneut dem Schaffensimpuls hingebend. Als Beobachter erleben, wie sich die bildnerischen Elemente miteinander verweben, sich überlagern, plötzlich Zonen bilden, die scheinbar abstrakte Gegenstände konfigurieren, die sich wieder auflösen.

Und immer öfter regiert ein kindlicher Freigeist, der sich nicht schert um irgendwas: Komposition, Rhythmus, Farbregeln...

Es entstehen Bildwelten, die wild, frech, stark, ungewohnt und unzensiert daherkommen, verstören und dennoch gefallen, weil trotz des oben Beschriebenen die Malerin das "Schöne" sucht, die wohltuenden Assoziationen nach Blumen und Wiesen, nach bunten Strichwelten, die Freude an Ekstase, Rausch und spielerischem Chaos wecken.

... über mich

Die Farbe hat mich!

Am Beginn eines Bildes steht das Spiel mit den Farben, ziellos trage ich auf, kein Schönheitsideal, keine Werte, keine Komposition im Kopf. Dann irgendwann hat es mich, das Bild, ergriffen, spornt es mich an, es zu vollenden. Mit immer neuen Pinselstrichen Überraschendes zu finden, mich niemals der Gleichförmigkeit hingebend. Gleich einer Trance, dennoch mit ganzer Wachheit, lasse ich mich führen, wohin das Bild will.

Dann aber beginnt der Wechsel, jetzt führe ich, entwickle, füge hinzu, vollende. Spuren von stark verdünnten Farblasuren berühren mich, verzaubern das Bild, verzaubern mich durch diese Zwischentöne, Mischtöne, die so viel verbinden und auslösen.
Abstand nehmen um zu erkennen.

Weiter, die Komposition (der Raum, die Begegnung!) im Auge, bei jedem kleinen Pinselstrich, alles im Blick, Wachsein, und doch auch das Gegenteil: vergessen, überschreiten, verweigern.

Dieses Selbstzeugnis könnte in manchen Aspekten auch eine Beschreibung des Malprozesses mancher Künstler des Informel, Tachismus oder des Abstrakten Expressionismus sein:

"Wir standen vor unseren begonnen Bildern, lauschten, was sie uns sagen wollten... Wir standen gleichsam vor einer Reise ins Unbekannte,der Weg war voller Risiken des Scheiterns..." Wolfgang Schultze (1989), in: 50 Jahre Frankfurter Quadriga 2003

Die Bildwelten der Ulla Kallert erinnern in ihren historischen Wurzeln an Nay, an Pollock, vor allem auch an Schultze, hier und da an die informelle Zeit einer frühen Maria Lassnig:

Amorphe Strukturen, hektisch und sehr ungestüm in der Farbgebung, dünne, eilig dahin laufende FadenlinienLinien mit Spannung, die sich bisweilen löst, dies bringt eine manchmal tanzartige Bewegung ins Bild

Striche haben in manchen Werken sehr viel Gewicht, sind kurz und zügig in manchen sind sie luftig, enden im Irgendwo, verlieren sich unterwegs, finden sich schwingend wieder über einem weit entfernten Farbfeld.
Die Spuren dieser Aktionen sind nicht "schön" im landläufigen Sinne zu nennen, aber dafür aufgeladen mit der emotionalen Dynamik der Frau, die sie hinterlassen hat.

Ulla Kallert hatte als Kind Zugang zu einer Familie, die sich mit Kunst umgeben hat. Dies hat die Sehnsucht bei ihr mit Kunst zu leben geweckt. Vor mehr als 30 Jahren hat sie sich schließlich der Kunst zugewandt.

Geschichtliche Vorbilder waren zunächst und wie so oft Picasso in allen seinen Facetten. Sie wollte erst zur gegenständlichen Kunst, merkte aber bald, dass dies nicht ihrem Naturell entsprach. Schon in den ersten Jahren ihrer Malerei wandte sie sich immer wieder dem Abstrakten zu. Seit 1993 hat sie sich dann systematisch mit abstrakter Malerei beschäftigt.

"Mir hat sich die Welt über die abstrakte Malerei erschlossen. Ich habe verschiedene Geschäfte geführt und Ausbildungen gemacht. Obwohl ich immer darin durchaus erfolgreich war, haben mich die mit ihnen verbundenen Tätigkeiten schnell gelangweilt, habe den Bereich immer verlassen, sobald er sich für mich erschöpft hat... aber in der Kunst langweile ich mich nie."

Einer rebellischen Persönlichkeit wurde die Leinwand der Boden, auf dem sich ihre Qualitäten entfalten können.
Mit Per Kirkeby insbesondere fühlt sich Ulla Kallert heute verbunden, er sagt Sätze, die ihr aus der Seele sprechen, wie z.B.: "Auf der Leinwand kann ich rücksichtslos sein".
Dies ist ein Satz, der zu den neueren Bildern von Ulla Kallert passt. Die Künstlerin will keine Form, keinen Inhalt anbieten, ähnlich wie es in der informellen Malerei war, sondern Stören und Verstören; dies heißt, dass sie dem Betrachter heute etwas anbietet, was das gewohnte Seh-Bild stört.
Sie will sich Türen aufmachen durchs Zerstören, kann im neu Entdeckten eine Weile bleiben, um sodann weiterzugehen und weiter zu forschen.

"...wenn ich das nicht schaffe, wechsele ich das Medium, gehe von der Leinwand weg... zu anderen Techniken."

Zerstören um zu vertiefen, dies ist der Leitgedanke und Leitweg der Ulla Kallert, "...so mache ich es auch im Leben, nicht nur in der Malerei..."

Die Künstlerin ist vielen Künstlern dankbar, bei denen sie gemalt hat, aber insbesondere Thomas Egelkamp aus Bonn, bei dem sie vor 15 Jahren ein ganz neues Verhältnis zur Linie bekommen hat.

"Ich habe meine Linie schätzen gelernt." Weitere Künstler wie Volker Altrichter, Prof. Jo Bukowski und die besonderen Jahre bei Stephan Geisler begleiten den künstlerischen Weg.

Aber auch ein weiterer Prozess ist ausschlaggebend für die abstrakten Bilder: Die Wertung während des malerischen Handelns fällt immer mehr ab mit zunehmender Authentizität.

Wann ist ein Bild fertig? Viele der abstrakten Bilder von Ulla Kallert sind sozusagen unfertig im malerischen Sinne, aber das ist für sie gerade spannend. Sie nimmt den Nachvollzug des Malprozesses wichtiger als das Ergebnis. Dazu gehört auch Sicherheit und Vertrauen in den Prozess.

"...habe aufgehört über Komposition nachzudenken, es komponiert sich von selbst, was sich natürlich erstmal nur so anfühlt."

Mit dieser Haltung steht Ulla Kallert damals ganz eng bei den Motiven auch anderer Künstler und Künste, so seit der performativen Wende auch im Theater und der Bildenden Kunst.

Auf die Frage, wann es zu diesem qualitativen Sprung in ihrer Malerei gekommen ist, führt sie den Tod ihrer Mutter an:

"Eine Frau ist erst frei, wenn die Mutter gestorben ist. Das Dasein für die Mutter hat mich nicht nur zeitlich gebunden, sondern auch gebunden durch meine Erziehung... das psychische Freisein ist mit dieser neue Phase verbunden."

In den letzten ca. 6-8 Jahren gibt es eine Weiterentwicklung zur Form, herausgeboren zunächst noch immer aus dem abstrakten Urgrund.

Ulla Kallert setzt Schrift auf ihre abstrakten Bilder, kurze Sätze, Textanfänge, die eine innere Bewegung aus Assoziationen im Betrachter auslösen, wie z.B.bei „Dear Mr. Schlingensief“, andererseits zielpointiert Aufrufe formulieren wie z.B. bei „Take my gold“.

Schließlich beginnt eine Phase, aus der Abstraktion heraus unterschiedliche Motive herauszuarbeiten, zunächst eine Reihe mit Tieren, Hund, Schaf, Bär, Hahn, Rabe… tauchen immer wieder auf. Die abstrakte Malerei und das Motiv sind dabei oft so ineinander verwoben, dass Hintergrund und Vordergrund ihre Eindeutigkeit verlieren und in einem neuartigen Zusammenspiel fungieren.

Zwischenzeitlich kommen Holz- und Linolschnitt hinzu, das Drucken wird zum experimentellen Spielfeld, dessen Erfahrungen in die Malerei wiederzurückfließen.

Ein neuer Zyklus an malerischer Erkundung beginnt dann 2012 mit einer Serie Familienbilder, in der Ulla Kallert ihre familiäre Herkunft befragt, Bilder, die einerseits das expressive Temperament der Künstlerin in Farbgebung und Duktus weiterführen, aber in beeindruckenden Figurenkompositionen, Körpern und situativen Stimmungen den Betrachter zu einem emotionalen Nachvollzug familiärer Situationen verlocken. Eine Einzelausstellung im Torhaus Dortmund „112 Schritte hinterm Bahnhof“ ließ den malerischen wie innerlichen Prozess der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit wie in einem Rundgang durch die Zeit nachempfinden.

Von nun an ist ein neuer Schwerpunkt in Ulla Kallerts künstlerischer Arbeit neben der abstrakten Malerei fester Bestandteil: das menschliche Gesicht, nicht nur, aber vornehmlich Frauenportraits. Es sind nicht Abbildungen realer Modelle, sondern große Portraits (180/120) weiblicher „Gefühlsarchetypen“

Eine Ausstellung 2018 in der St Nicolaikirche in Dortmund zeigte 15 Gemälde, vornehmlich Großformate, die durch den Ausstellungsraum „Kirche“ eine expressiv-spirituelle Dimension dieser Bilder aufscheinen ließ.

Während der gesamten Zeitspanne ihrer Malerei hat sich Ulla Kallert immer wieder dem plastischen Gestalten zugewandt. Wenn es aus verschiedenen Gründen in der Malerei stockte oder ein schwebendes Abwarten gefragt war, dann half dem inkubativenDistanznehmen die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Materialien wie Wachs, Gips, Ton, Holz und verschiedenen Modelliermassen. Dabei reichen die Objekte von Schmuck wie dem beliebten U-Ring (Dortmunder U), Anhänger für Ketten u.ä. bis zu kleinen Bronzeplastiken, die Tierelemente präsentieren, aber vor allem zu weiblichen Torsen.

Der Themenkreis femininer Figuren, weiblicher Körper, die „Frau“ bzw. das „Frau-Sein“ ist in den künstlerischen Produkten und Projekten der Ulla Kallert schon lange angelegt.

In ihren neueren Werken finden sich feminine Formen und weibliche Körpergehäuse, zeigen sich Frauenfiguren, wovon zumindest einige als silhouettenhafte Emanationen innerer Seins-Zustände verstanden werden können. Aus geistigen und emotionalen Innenräumen geborgenes Wahrnehmungserleben drängen über die Malerei der Künstlerin nach Sichtbarwerden, sucht nach bildnerischer Umsetzung. Authentizität ist vielleicht ein (zu-)viel gebrauchter, aber dennoch hier ein hilfreicher Begriff, mit dem das in den Focus rücken von Körper-/Gefühlen verstanden werden kann. Sehnsucht, Hingabe, Begehren, Sinnlichkeit, Lebensenergie drängen von innen nach außen ins Bild.

Vom 2. August 2018 bis 31. Januar 2019 stellt Ulla Kallert in den Räumen der IHK zu Dortmund auf 2 Etagen aus. Jede Etage präsentiert die künstlerischen Schwerpunkte der Künstlerin, auf der oberen die großen Portraits und die Familienserie, auf der unteren die abstrakten Werke. In dieser Ausstellung kann man sich einen umfangreichen Eindruck vom Schaffen der Künstlerin machen.

Es ist spannend, wie der künstlerische Weg von Ulla Kallert weitergeht.